Was ist Judo?

Judo? Was ist das denn?

Die folgenden Zeilen sollen versuchen, diese Frage zumindest andeutungsweise zu beantworten. Der Text basiert auf einer Ausarbeitung aus dem Jahre 1974, die von Wolfgang Hofmann, dem Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von Tokyo 1964 verfasst wurde.

Ich habe nur ein wenig gekürzt und aktualisiert.

Wolfram Diester

Also: Was ist Judo?

Wettkampfsport? Fitnesstraining? Befreiendes Spiel? Erziehung? Selbstverteidigung?

Für jede:n kann Judo etwas anderes bedeuten. Als der Japaner Prof. Jigoro Kano vor ca. 120 Jahren die erste Judo-Schule der Welt gründete, (1882 den Kodokan in Tokyo) glaubte er besonders zwei Probleme zu lösen: Er wollte ein Gymnastiksystem schaffen, das den Körper gesund und fit erhält und trotzdem nicht langweilig ist. Und außerdem wollte er seine schon damals zu fanatisch studierenden Schüler*innen durch einen interessanten Wettkampfsport an der für Japan neuen Amateursportbewegung teilnehmen lassen. Jahre später, als Leiter einer Lehrerakademie, betonte er den erzieherischen Wert des Judo. Höflichkeit, Einsatzbereitschaft, Fantasie, Mut, Durchhaltevermögen werden im Judo verlangt und können durch Judo gefördert werden. Heute nimmt die Zahl derer, die Judo einfach deshalb betreiben, weil es ihnen Spaß macht, mit einem*einer Partner*in auf der Matte zu „spielen”, wert- und zweckfrei einen schönen Übungskampf (Randori) zu bestreiten und dabei ein Gefühl der Befreiung und Befriedigung zu erleben, wie es in der Berufswelt selten geworden ist, ständig zu.

Wenn man eine gewisse Zeit Judo geübt hat, wird man alle Seiten dieses schillernden Begriffs Judo näher kennengelernt haben. Vielleicht ist dann Judo (wörtlich „Der sanfte Weg“) auch zu einer Lebenseinstellung, zu einer Philosophie geworden. Nur auf dem Motiv, aus dem heraus bestimmt mehr als die Hälfte der über 210 000 aktiven Judosportler*innen in Deutschland zu ihrem Sport gefunden haben, dem Motiv der Selbstverteidigung, werden die wenigsten stehenbleiben. Wer möchte auch immer für den „Ernstfall” üben? Welche*r 100-m-Läufer*in trainiert nur deshalb, um im „Ernstfall” den gerade abfahrenden Bus noch erspurten zu können?

Sport für die ganze Familie

Ein guter Werbeslogan? Er hat auch den Vorteil, wahr zu sein:

Es gibt Wettkämpfe für Kinder, für Jungen und Mädchen ab 8 Jahren. Meisterschaften werden durchgeführt für Jugendliche ab 14 Jahren und bei den Erwachsenen ab 18 kämpfen in Deutschland seit 1970 auch die Damen (in eigenen Klassen). Es gibt zwar kaum eine*n Judo-Sportler*in, der*die älter als 40 ist und noch öffentlich Wettkämpfe bestreitet, aber zu Ende ist die Judo-Laufbahn deswegen noch lange nicht. Das hängt mit der Rolle zusammen, die im Judo der öffentliche Wettkampf spielt: Man trainiert nicht für den Kampf, sondern man kämpft gelegentlich, um das Training zu kontrollieren. Oder japanisch ausgedrückt:

„Nicht das Ziel ist wichtig, sondern der Weg dorthin!”

Außerdem gibt die Übungsform der Kata (zeremonielles Demonstrieren richtiger Techniken und Bewegungsabläufe) auch den äIteren oder den nicht mehr wettkampfinteressierten Judoka die Möglichkeit, Erfolge und Fortschritte im Judo zu erleben. Unvergessen sind die Bilder aus Japan, wie ein alter Opi mühsam am Stock Schritt für Schritt zum Kodokan schleicht, an der Matte den Stock ablegt, auf die Matte springt, rollt und wirft, seine Partner leerlaufen lässt und sie im Bodenkampf, wo es nicht so sehr auf Schnelligkeit ankommt, hilflos zappeln lässt.

Passende Technik für jede*n

Besondere körperliche Voraussetzungen braucht man nicht! (Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer und Geschmeidigkeit, die man natürlich braucht, schafft man sich im Verlauf des Trainings an). Einen speziellen Judo-Typ gibt es nicht. Keine*r braucht zu sagen, aus den und den Gründen — weil ich zu groß, zu klein, zu dick bin — werde ich es nie schaffen. In anderen Sportarten trifft das vielleicht zu (ein 1,50 m großer „Riese” mit dem Wunsch, Hürdenläufer zu werden, wird wohl immer ein hoffnungsloser Fall bleiben). Nicht so im Judo: Unter der Vielzahl der Techniken findet jede*r einen Stil mit den passenden Voraussetzungen heraus. Ein großer Judoka wird zwar nie Erfolge mit Schulterwürfen haben, bei denen man tief in Hocke vor dem Partner stehen muss; er wird sich lieber Techniken aussuchen, bei denen er seine langen Beine gut einsetzen kann (z. B. große Außensichel). Es ist ein großer Vorteil, dass es die absolute, objektiv messbare Leistung im Judo nicht gibt. Ein gelungener, schöner Weitsprung von 2,80 m kann nicht voll befriedigen angesichts der täglich im Fernsehen zu beobachtenden 8-m-Springer. Ein schöner Wurf, ein geglückter Bewegungsablauf erfüllen eine*n Olympiasieger*in und Weltmeister*in im Judo mit der gleichen Freude wie eine*n Anfänger*in in einem Verein.

Was erwartet Dich im Judo-Training?

Es gibt keine einheitliche Auffassung über den Aufbau des Judo-Unterrichts. Jede*r Lehrer*in versucht, die Grundsätze auf eine eigene Weise zu verwirklichen:

Es muss den Schüler*innen Spaß machen!

Man muss Rücksicht auf die persönlichen Voraussetzungen nehmen!

Der methodische Aufbau muss einsichtig sein!

Höflichkeit und Disziplin den Partner*innen gegenüber sind notwendig!

Körperliche Fitness und „Kondition” sind wichtig und werden systematisch aufgebaut!

Der Fortschritt wird dokumentiert durch Gürtelprüfungen oder Erfolge in Wettkämpfen!

Fallübungen — Ukemi

Am Beginn der Ausbildung wird daher viel Zweckgymnastik stehen — später wird der Anteil am Gesamttraining kleiner werden —, und werden vor allen Dingen die Fallübungen, allein oder in Verbindung mit Würfen stehen. Sie geben ein notwendiges Sicherheitsgefühl und schulen die Körperbeherrschung, die für die schwierigeren Techniken notwendig ist.

Technikstudium durch Wiederholung — Uchi-Komi

Bevor die erlernten Techniken so in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass sie auch gegen den Widerstand einer Partnerin funktionieren, vergeht viel Zeit. Man muss den Wurf unter immer neuen Bedingungen mit immer neuen Partner*innen studieren, man muss ihn Tausend und Abertausendmal wiederholen, ehe er wirklich sitzt. Mühsam? Langwierig? Sicher, aber es macht Spaß, den eigenen Fortschritt zu erleben. Ein Intensiv-Schnell-Kurs reicht vielleicht, um auf der Schreibmaschine schreiben zu lernen, aber Judo soll Dein Hobby, Deine Muße, Deine Philosophie werden …

Übungskampf — Randori

Im freien Kampf, besser im freien und lockeren Spiel mit den Partner*innen probiere aus, ob Deine Technik wirksam ist oder nicht. Dieses Randori ist die Hauptübungsform des Judo — manchmal kann ein ganzer Trainingsabend nur aus Randori bestehen — und wer den Sinn erfasst hat, wer das „Spiel richtig zu spielen weiß”, erlebt Befriedigung und Stolz. Die Betonung liegt bei diesem Übungskampf mehr auf Übung als auf Kampf. Andererseits ist es keine Spielerei in der Art „Ich werfe dich, du wirfst mich”. Werfen und geworfen werden, angreifen und verteidigen, hereinlegen und selber ausgetrickst werden, triumphieren und aufgeben, tief durchatmen und erschöpft sein … Das ist die schöne schwierige Kunst des Randori.

Wettkampf — Shiai

Der Wettkampf ist anders. Nach einem Punkt, nach einem gelungenen Wurf oder Griff ist der Kampf vorbei. Höchste Konzentration der Kräfte, ein guter Test über die wirkliche Stärke Deines Judo. Auch wenn Du nicht an öffentlichen Meisterschaften teilnimmst — dazu gehört eine lange, sorgfältige Vorbereitung, ein planvolles Training — gibt Dir ein gelegentlicher Wettkampf während des Trainings die gleichen Aufschlüsse.

Zeremonie und Demonstration — Kata

Eine Übungsform, wie sie nur die asiatischen Kampfsportarten kennen, ist die sogenannte Kata. Am ehesten kann man Kata noch vergleichen mit dem Schaulaufen beim Eiskunstlauf oder der Kür beim Kunstturnen. Genau einstudierte Bewegungsabläufe verdeutlichen das Prinzip der Techniken oder Griffe. Besonders für nicht mehr aktive Wettkämpfer und Judoka mit Talent zum „darstellenden Spiel” stellen die Kata eine wunderbare Möglichkeit dar, Judo mit einem*einer Partner*in zu erleben, ohne gegen ihn*sie kämpfen zu müssen.

Was gibt es für Würfe und Griffe?

Würfe – Nage-waza:

Hüftwürfe – Koshi-Waza

Fußwürfe – Ashi-Waza

Hand- und Schulterwürfe – Te-Waza

Würfe durch Eigenfall – Sutemi-Waza

Würfe durch Mitfallen – Maki-Komi-Waza

Es gibt ca. 70 verschiedene Würfe in den 5 Gruppen, die alle die Grundbewegungen: den*die Partner*in ausheben, wegsicheln, weiterfegen, blockieren und rotieren lassen, mehr oder weniger variieren.

Griffe – Katame-waza:

Haltegriffe – Osae-Komi-Waza

Würgegriffe – Shime-Waza

Armhebel – Kansetsu-Waza

In 5 Haltegriff-, 7 Armhebel- und 7 Würgegriffgruppen werden ebenfalls etwa 70 verschiedene Techniken unterschieden, zu denen jeweils noch Variationen möglich sind.

Immer gilt das technische Prinzip des Judo:

„Die Kraft ökonomisch einsetzen und mit ihr die größte Wirkung erzielen”.

Im Einzelnen wird das erreicht, indem man der Kraft des Gegners nachgibt und sie für seine eigene Aktion mitgebraucht, indem man sein Gleichgewicht bricht und indem man die eigene Kraft gegen seinen schwächsten Punkt konzentriert.

Graduierungen und Gürtelprüfungen

Judo ist eine Kunst, die ein lebenslanges Studium Wert ist. Mit ein, zwei Techniken, die man sehr gut beherrscht, kann man zwar Meisterschaften gewinnen, Verständnis für das, was Judo alles umfasst, braucht man deswegen noch nicht zu besitzen. Aufschluss über den technischen Stand eines Judokämpfers gibt der Rang, der sich in der Gürtelfarbe dokumentiert. Nach Prüfungen, die in Deutschland einheitlich vom Deutschen Judo-Bund durchgeführt werden, kann man in folgender Reihenfolge verliehen bekommen:

„Lehrlinge“8. Kyuweiß-gelb
7. Kyugelb
6. Kyugelb-orange
5. Kyuorange
4. Kyuorange-grün
3. Kyugrün
2. Kyublau
1. Kyubraun
„Gesellen“1. Dan bis 5. Danschwarz*
„Meister“6. Dan bis 8. Danrot-weiß
„Großmeister“9. und 10. Danrot

* Manchmal werden auch die Schwarzgurt-Träger*innen schon „Meister“ genannt

Vor der ersten und zwischen jeder Kyu-Prüfung müssen mindestens 6 Monate intensive Vorbereitungszeit liegen, sodass man frühestens nach 5 Jahren den schwarzen Gürtel umbinden kann.

Sonstiges Training?

Alles, was Du sonst tun kannst, um Deinen Körper fit zu machen, wie Laufen für die Ausdauer, Hantelarbeit für die Kraft, Spiele für Schnelligkeit und Beweglichkeit ist gut und hilft, Dein Judo zu verbessern. Besonders auf die Ausbildung Deiner Beinmuskulatur (Kniebeugen!), Bauchmuskulatur (Aufrichten aus der Rückenlage) und Finger- und Unterarmmuskulatur wird Deine Lehrer*in achten.

Denn mit Judo kann der*die Schwächere den*die Stärkere*n besiegen, … Nur gut trainiert muss die schwächere Person schon sein.

Erfolg? Kann garantiert werden!

Wenn Du wissbegierig, eifrig, zielstrebig und geduldig bist, kann man Dir den Erfolg garantieren. Denk daran:

Einer der Wege ist Geduld
Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.

Viel leichter ist es, zehntausend Dinge zu studieren, als in einem ein*e Meister*in zu werden.

Interesse geweckt?

Dann einfach mal reinschauen!